ALTSTADTHAUS RATHAUSGASSE 68, BERN ا 2

Jahrzehntelang vernachlässigt, heute ein Bijou

Die Liegenschaft aus dem 15. Jahrhundert wurde zwischen 2013 und 2015 durch das Architekturbüro Campanile Michetti totalsaniert. Dabei wurden Erkenntnisse der Denkmalpflege und Archäologie behutsam umgesetzt. Architekt Claudio Campanile öffnet für den WohnBär die Türen der Rathausgasse 68. Ein Rundgang in Bildern.
 

Wir betreten die Liegenschaft an der Rathausgasse 68 durch das Biercafé «Au Trappiste» im Erdgeschoss und gelangen in den hinteren Teil des gemütlichen Lokals, wo sich die Theke befindet. Claudio Campanile erzählt: «Im Erdgeschoss waren früher Werkstätten untergebracht, so unter anderem eine Messerschmiede oder ein Coiffeurgeschäft. Denn die Rathausgasse gehörte im Gegensatz zur Junkerngasse zum ärmeren Teil der Stadt.» 

Wir treffen auf eine Brandmauer mit rot verfärbten Sandsteinen: «Diese Sandsteine wurden schon beim grossen Brand von 1405 hier vermauert. Durch die starke Wärmeeinwirkung haben sie sich rot verfärbt. Vor der Sanierung 2013 war die Mauer mit einer profanen Holztäferung verkleidet. Bei der Restaurierung stellten wir fest, dass es sich hier um den einschichtigen Original-Putz handelt.» Ein kleines Stück dieses rot verfärbten Sandsteins zerbröselt in der Hand. Dazu Claudio Campanile: «Es besteht immer noch Feuchtigkeitsaustausch. Im Winter enthält die Mauer gesättigte Salze und wenn geheizt wird, wird die Feuchtigkeit an die Oberfläche gezogen. Im Sommer, wenn es feuchter ist, zieht die Feuchtigkeit wieder in die Mauer ein und transportiert Salz und das Mauerwerk zerbröselt.»

Lichthof wieder hergestellt
Wie Jürg Keller, Denkmalpflegerische Betreuung der Stadt Bern, in einem Bericht von 2015 festhält, war das Altstadthaus an der Brunngasse 68 jahrzehntelang vernachlässigt worden. «Dank eines überzeugenden Gesamtumbaus, der den Erkenntnissen aus der Bauforschung und dem Erhalt der historischen Ausstattung ebenso viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte wie der baulichen Weiterentwicklung, ist es gelungen, das Gebäude qualitätsvoll instand zu stellen und für die Zukunft zu sichern.»

Der letzte Umbau vor 2013 wurde in den 1960er-Jahren realisiert. «Damals verbaute man den Lichthof, baute Decken und in den Zwischengeschossen Bäder ein», weiss Claudio Campanile zu berichten. «Man opferte also den Lichthof, indem man ihn vermauerte! 2013 legten wir den zentralen Lichthof am Treppenhaus wieder frei .» Zugleich wurde in den Wohnungen zur internen Verbindung zwischen Küche und dem zur Brunngasse orientierten Schlafraum über alle drei Hauptwohngeschosse eine aus Stahl und Glas konstruierte, galerieartige Passerelle geschaffen. Jede Wohnung kann auf diese Weise intern verbunden werden, ohne dass das Treppenhaus betreten werden muss. Die Nasszelle der Wohnungen wurde dem Schlafbereich zugeordnet.

Die Ehgräben
Unser Blick bei der Theke des Biercafés fällt in die kleine, helle Toilette im alten Abortanbau, mit Aussicht gegen den Hof. Claudio Campanile klärt auf: «Früher befand sich in jedem Geschoss ein ‹Plumps-Klo›. Der Inhalt von Nachttöpfen gelangte direkt in die sogenannten Ehgräben. Heute leiten Rohre den Abfall in diese Gräben.» Schon die mittelalterliche Stadt verfügte mit den Ehgräben über ein am Stadtbach angeschlossenes Kanalisationssystem. Diese offenen Abwasserkanäle führten zwischen den Häuserreihen hindurch und markierten die gesetzlichen Grundstücksgrenzen (Eh = Vertrag).

Ausgebautes Dachgeschoss
Wir steigen die Spindeltreppe hoch in die zurzeit leere Dachwohnung im vierten Geschoss, wo sich früher der Estrich befand. Was sofort auffällt: Die Wohnung besticht durch viel Glas, was sie hell, freundlich, transparent und filigran werden lässt. Da es sich um die oberste Wohnung handelt, kreuzt man keine weiteren Personen im Treppenhaus. Somit erübrigt sich die interne Verbindungspasserelle; ­
diese Funktion übernimmt der «normale» Korridor im Treppenhaus. Anstelle der Passerelle wurde ein Balkon eingebaut, welcher den Blick in den Lichthof freigibt. Aber nicht nur: Steht man auf diesem Balkon, blickt der Betrachter auch in einen (kleinen) Teil der Wohnung des Nachbarn im unteren Geschoss – und umgekehrt. «Das war eine der grössten Herausforderungen bei der Sanierung», erinnert sich Claudio Campanile. «Alles ist offen, es ist nichts verbaut. Aber bis jetzt störte das niemanden. Ein gut nachbarschaftliches Verhältnis ist jedoch kein Nachteil … », schmunzelt er. Die Dachwohnung glänzt weiter mit einer geräumigen Galerie, welche das Aufrechtstehen erlaubt und gut möblierbar ist.

Im Zimmer, welches den Ausblick auf die Brunngasse ermöglicht, besteht der Fussboden aus vier bis fünf Zentimeter dicken Tonplatten, welche ursprünglich als Brandschutz dienten. «Diese Platten holten wir aus dem Depot für historische Bauteile der Kantonalen Denkmalpflege in Hofwil. Auch die Wohnungstüren entnahmen wir diesem Fundus», schildert Claudio Campanile.

Fotos: Daniel Zaugg

INFO

Das Welterbe – von Katastrophen geprägt

Die Berner Altstadt erweckt mit ihrer Klarheit und dem einheitlichen Bild ihrer Gassen und Plätze den Eindruck, sie sei stets in ihrer heutigen Form geplant gewesen. Es waren aber massgeblich Zerstörungen und aus ihnen gezogene Lehren, welche diese Gestalt geprägt haben.

Schon das dörfliche Bild der Gründungsstadt wandelte sich durch Verdichtung, Aufstockungen und die erste Stadterweiterung bis an den heutigen Käfigturm schnell. 1285 und 1287 führten zwei grosse Feuersbrünste zur Zerstörung der ganzen Stadt von der Kreuzgasse an aufwärts, 1405 wurde die Stadt abermals grossflächig ein Raub der Flammen; über 100 Menschen kamen ums Leben. Der letzte grössere Brand in der unteren Altstadt ereignete sich am 30. Januar 1997 an der Junkerngasse 41; ein Mann starb in seiner Wohnung.

Um solchen Katastrophen zuvor zu kommen, förderten die Behörden deshalb früh die geschlossene Bauweise, den Bau brandsicherer Lehm- und Steinhäuser, den Ersatz der hölzernen Schindeldächer durch Ziegeldächer, den Unterhalt von Brandmauern usw. Dies geschah durch Subventionen und Ausgleichszahlungen zwischen Anstössern. Ein besonderer Anreiz wurde mit der Möglichkeit geschaffen, mit Lauben auf die Gassen hinaus zu bauen, sofern dort feuersichere Sandsteinfassaden errichtet wurden. Die brandgefährdeten Aufzugsgiebel wurden aus dem Stadtbild verbannt.

Diese Grundideen wurden konsequent durchgezogen, bis die wohlhabende Stadt im 18. Jahrhundert mit neu vier Geschossen das prächtige Kleid ihrer heutigen Sandsteinfassaden übergezogen bekam. Damit wurden die Prinzipien, die seit dem Mittelalter entwickelt worden waren, in idealisierter Form umgesetzt.

Text: Christoph Schläppi, Architekturhistoriker, Bern

UNESCO-WELTKULTURERBE

Die Altstadt von Bern ist seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe. Der WohnBär berichtet regelmässig anhand konkreter Beispiele über den Schutz des Welterbes (siehe auch Ausgaben vom 23.4.24 und 14.8.24). Der Berner Architekt Claudio Campanile (64) erarbeitet im Auftrag der städtischen Denkmalpflege als Generalplaner mit seinem Team den von der UNESCO verlangten Managementplan.

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