Für die gelernte Schuhmacherin Andrea Schärmeli stehen Nachhaltigkeit und Wertigkeit zuoberst auf der Prioritätenliste ihrer Arbeit. Sie sieht in Schuhen ein persönliches Stilelement. Seit vier Jahren betreibt sie die Schuhwerkstatt an der Neubrückstrasse 82.
Am Tag unseres Besuches ist Andrea Schärmeli mit mehreren Reparaturen von Kletterfinken, Damen- und Herrenschuhen beschäftigt. Einen Damenstiefel weitet sie aus, weil er der Kundin zu eng ist, an einer Sandale ersetzt sie den Klettverschluss. Reparaturen sind denn auch die häufigsten Arbeiten in der kleinen, hellen Werkstatt an der Neubrückstrasse. «Im Frühling habe ich vermehrt Kletterfinken, die neu besohlt werden müssen. In der kalten Jahreszeit sind es Winterschuhe, denen ich neue Absätze und Sohlen verpasse und im Sommer Sandalen mit Absätzen und Lederriemen», präzisiert Andrea Schärmeli. Nicht von der Jahreszeit abhängig seien Reparaturen von Stiefeln, Taschen, Rucksäcken und Gürteln. Kletterfinken sind häufige «Patienten», obschon sie deren Reparatur nicht als ihre Spezialität bezeichnet. «Es begann damit, dass ich zuerst meine eigenen Kletterschuhe flickte, dann die meines näheren Umfeldes; das hat sich dann herumgesprochen.» Aber sie sei Schuhmacherin und repariere alles, sagt sie mit Nachdruck.
Auf dem zweiten Bildungsweg
Den Beruf der Schuhmacherin ergriff Andrea Schärmeli nicht nach der obligatorischen Schulzeit. Sie absolvierte das Studium in sozialer Arbeit und war dann während 25 Jahren in diesem Bereich tätig. Mit 45 Jahren verspürte sie Lust, etwas ganz anderes anzupacken, und zwar «etwas Handwerkliches». Sie hatte schon als Jugendliche eine Affinität zum Handwerk, hat nicht «zwei linke Hände», nähte Kleider, flickte ihr Velo selbst und Gartenarbeit war ihr nie ein Gräuel. Die Voraussetzungen waren also gegeben. Mit Hilfe des Berufsberaters entschied sie sich für den Beruf der Schuhmacherin, denn der Rohstoff Leder übte stets eine besondere Faszination auf die «Umsteigerin» aus, wie sie rückblickend festhält.
Die passende Lehrstelle fand sie rasch, obschon geeignete Schuhwerkstätten «dünn gesät» sind. «Ich hatte Glück», räumt Andrea Schärmeli ein. «Ich wohnte damals in der Länggasse und kannte meine Vorgängerin, Christina Bühler im ‹Schuh-Service› an der Neubrückstrasse 82, gut, weil ich meine Schuhe regelmässig zur Reparatur brachte.» Die damalige Geschäftsinhaberin befand sich jedoch kurz vor der Pension und beabsichtigte nicht, für die nächsten drei Jahre eine Lernende auszubilden. Andrea Schärmeli stellte in Aussicht, die Werkstatt nach (erfolgreichem) Lehrabschluss zu übernehmen, was Christina Bühler überzeugte, denn eine Nachfolge war zu diesem Zeitpunkt nicht in Sicht. So schob sie ihren Ruhestand noch etwas hinaus, bildete die «erwachsene Lehrtochter» aus – mit Erfolg, wie sich herausstellen sollte. Mit 15 anderen Lernenden besuchte Andrea Schärmeli die Berufsfachschule in Zofingen. «Die Klasse war gut durchmischt mit Schulabgängerinnen, Maturanden, Orthopädieschuhmacherinnen und weiteren spannenden Berufsumsteigern. Ich war zwar die Älteste, aber keineswegs eine Exotin», lacht sie. «Ich habe den Schritt nie bereut», sagt sie heute mit ungebrochener Begeisterung.
Beruf mit Möglichkeiten
Obschon sich Schulabgänger leider nur noch selten für den Schuhmacher-Beruf entscheiden, sieht Andrea Schärmeli mehrere Perspektiven nach der Grundbildung (siehe auch Box!). «Die Ausbildung bildet eine hervorragende handwerkliche Grundlage; man lernt exakt mit verschiedenen Werkzeugen zu arbeiten und es ist wichtig, kreative Lösungswege zu finden.» Man erfahre viel über neue Materialien. «Schuhe gibts nicht nur aus Leder!» Auch die Orthopädie sei ein bedeutendes Thema. Diese Spezialistinnen und Spezialisten stellen Schuhe für Menschen mit einer Beeinträchtigung her. Zurzeit bildet Andrea Schärmeli keine Lernenden aus. «Obschon ich 52-jährig bin, beruflich bin ich noch eine ‘Newcomerin’ und möchte noch mehr praktische Erfahrungen sammeln.» Schnupper-Lernende seien aber jederzeit willkommen.
Andrea Schärmeli repariert nicht «nur» Schuhe, sondern auch Taschen, Rucksäcke, Portemonnaies, Gürtel usw. Warum? Dazu die Fachfrau: «Es ist naheliegend, denn die Materialien sind dieselben. Es spielt keine Rolle, ob ich an einem Stiefel einen Reissverschluss ersetze oder an einer Ledertasche», begründet sie die Vielseitigkeit ihrer Arbeit.
Sneakers versus Lederschuhe?
Grosses Gewicht legt Andrea Schärmeli auf die Nachhaltigkeit. «Ich versuche, hochwertige Schuhe so zu reparieren, dass sie ihre hohe Wertigkeit behalten. Ich würde nie auf einen schönen Schuh eine billige Sohle setzen, das kommt bei mir nicht vor!» So dauere bei ihr eine Reparatur unter Umständen etwas länger: «Bei mir muss der Leim trocknen, bis er trocken ist», so ihr dezidiertes Statement. Sie verwehrt sich auch entschieden gegen die oft gehörte Aussage, dass man beispielsweise Sneakers oder Turnschuhe nicht flicken könne. Es gebe Modelle, die man neu besohlen oder nähen könne. «Es kann einfach nicht sein, dass ein Turnschuh als Wegwerfgegenstand betrachtet wird!»
Der Modetrend zeigt zurzeit in Richtung Sneakers und Turnschuhe, dies zulasten der «klassischen» Lederschuhe. Da Andrea Schärmeli aber auch erstere repariert, spürt sie keinen Rückgang an Aufträgen. «Zu mir kommen Kundinnen und Kunden, die Wert auf Pflege und Nachhaltigkeit legen.» Bei den Lederschuhen seien klassische Stiefeletten, Schnürer und Golfer nach wie vor zeitlos. «Western-Boots liegen gegenwärtig sehr im Trend, während Plateauschuhe eher rückläufig sind», stellt die Schuh-Expertin fest. Keine Grenzen gebe es heute bei den farblichen Abstimmungen. Braune Lederschuhe oder Turnschuhe zum dunklen Herrenanzug – früher eine «Todsünde», heute «in»!
Welche Präferenzen hat Andrea Schärmeli bei ihren eigenen Schuhen? Die Antwort kommt rasch: «Ganz klar Stiefel und Stiefeletten! Mir gefallen Form und Funktionalität und ich fühle mich wohl darin.» Zur Grösse ihres persönlichen Schuhbestandes gibt sie sich bedeckt. «Ich zähle die Paare nicht, es sind viele … », sagt sie verschmitzt. «Aber auch langjährige», fügt sie wie entschuldigend hinzu. Reparieren kann sie ihre Schuhe nun selbst.

Fotos: Daniel Zaugg