Edith Siegenthaler ist ab sofort die höchste Bernerin

Schmerzt es Sie, jetzt still sitzen zu müssen?

Fotos: Daniel Zaugg

Seit Montag ist SP-Politikerin Edith Siegenthaler Grossrats­präsidentin. Wie die 42-Jäh­rige mit ihrer neuen Rolle umgeht, welche politischen Ziele sie hat und ob sie mit SVP-Vertretern auch mal ein Bier trinkt. 

Edith Siegenthaler, ab sofort sind Sie die höchste Bernerin. Wie tönt das? 
Ich freue mich sehr auf diese spannende Aufgabe. Ich werde viele Menschen kennenlernen, die ich sonst nie treffen würde. 

Mussten Sie sich speziell auf das Amt vorbereiten?
Ich hatte quasi zwei Jahre Zeit zu üben (lacht). Ich war zunächst zweite, dann erste Vizepräsidentin. Künftig nehme ich eine andere Rolle ein. Ich denke, ich bin bereit. 

Diese andere Rolle, die Sie ansprechen, ist darauf ausgelegt, den Ratsbetrieb zu leiten, anstatt sich politisch einzubringen.
Ja. Ich werde mich in den nächsten zwölf Monaten inhaltlich zurückhalten und die Debatten eher von aussen betrachten. Ich bin auch nicht mehr Mitglied einer Kommission und stehe damit quasi ausserhalb der zu verhandelnden Geschäfte.

Sie sind jemand, der sich oft leidenschaftlich in Debatten einbringt. Schmerzt es Sie da nicht, nun stillsitzen zu müssen? 
Natürlich gibt es Themen, bei denen ich wahnsinnig gerne mitdiskutieren würde und ich finde es etwas schade, jetzt eine Weile lang nicht mehr das Wort ergreifen zu dürfen – andererseits können andere, die meine Position teilen, das genauso gut tun. Niemand ist unersetzbar.

In anderen Ländern arten Parlamentssitzungen immer mal wieder aus. Das passiert hier praktisch nie. Trotzdem: Wie halten Sie Ihre Grossrats-Schäfchen im Zaum?
Ich verfüge über einiges an Erfahrung, was das Leiten von Sitzungen anbetrifft. Deswegen macht mir diese Funktion kaum Sorgen. Unruhe entsteht erst, wenn Ungewissheit herrscht, beispielsweise worüber abgestimmt wird oder worum es überhaupt geht. Daher ist es wichtig, von Anfang an Klarheit zu schaffen. 

Sind Sie jemand, die sich durchsetzen kann?
(lacht laut) Jene Eigenschaft wurde mir jedenfalls im Porträt der Nachrichtenagentur sda so positiv unterstellt. Im Ernst: Wenn mir etwas wichtig ist, setze ich einiges daran, dies auch durchzubringen. Im Wissen darum, dass es nicht immer gelingt. 

Sie sind seit 2021 Grossrätin, zuvor politisierten Sie im Berner Stadtrat. Dort hat Rot-Grün eine satte Mehrheit, im Kantonsparlament dominieren die Bürgerlichen. Hatten Sie als SP-Politikerin nie Mühe damit? 
Ich wuchs im bernischen Rapperswil auf, mir ist also durchaus klar, wie der Kanton tickt und dass die Verhältnisse längst nicht überall so sind wie in der Stadt Bern. Darum verfiel ich vor vier Jahren in keine Schockstarre; man muss bloss anders arbeiten und ist viel eher auf Koalitionen angewiesen. 

Wo werden die härteren und kontroverseren Debatten ausgetragen? Im Stadtrat oder im Grossen Rat?
Eine interessante Frage (überlegt). Ich habe schon eine Weile lang keine Stadtratsdebatte mehr verfolgt. Objektiv festhalten lässt sich sicher, dass auf Kantonsebene die Vorgaben, etwa in Bezug auf die Redezeit, strenger sind. Ob das automatisch zu einer konstruktiveren Diskussion führt, ist eine andere Frage. Das hängt unter anderem von der Emotionalität des Themas ab.

Nehmen Sie die Mitglieder des Kantonsparlaments als coole Truppe wahr?
Es funktioniert meist sehr gut. Ich war Vizepräsidentin der Sicherheitskommission und fand die Arbeit dort wie auch im Ratspräsidium und im Büro wirklich angenehm. 

Auf Sie wartet eine intensive Zeit: Sie haben unter anderem Ihr Pensum bei Travail.Suisse von 80 auf 60 Prozent reduziert. Sind Ihre Ferien für die nächsten zwölf Monate gestrichen?
Ins Gewicht fallen vor allem die repräsentativen Aufgaben, die anstehen. Vieles findet am Wochenende oder an Abenden statt, was logischerweise die Freizeit tangiert. Deswegen: Ja, etliche meiner Ferientage werde ich der Politik widmen.

2027 sind Nationalratswahlen. Welche politischen Ziele haben Sie?
(lacht) Hält meine Partei es für eine gute Idee, zu kandidieren, werde ich es mir überlegen.

Es muss also nicht zwingend das Bundeshaus sein?
Natürlich hört sich Nationalrätin wunderbar an, aber solche Dinge lassen sich kaum planen. Es bestehen zig Unwägbarkeiten. Und bevor Sie fragen: Mir gefällt es im Grossen Rat ausgezeichnet. Eröffnen sich neue Möglichkeiten, schaue ich mir das dann zu gegebener Zeit an. 

Bis jetzt waren Sie in Ihrer politischen Karriere jedenfalls häufig zur richtigen Zeit am richtigen Ort –
vielleicht 2027 ja wieder.

Wer weiss (schmunzelt). Es gibt da noch andere Menschen mit Ambitionen.

Von Stadtratsmitgliedern von links bis rechts ist zu hören, dass der überparteiliche, menschliche Austausch gelitten habe. Trinken Sie mit einem SVPler nach einer harten Diskussion mal ein Bier? 
Im Grossen Rat tagen wir meist tagsüber und nicht wie auf Gemeindeebene am Abend. Man trifft sich also in der Mittagspause und durchmischt sich parteilich praktisch immer. Das ist doch spannend! 

Wann ist das Jahr als Grossratspräsidentin für Sie ein gelungenes Jahr? 
Mir ist es wichtig, für die Menschen da zu sein und ihnen zu zeigen, dass der Kanton nicht einfach irgendein Konstrukt «da oben», sondern nahbar und für alle da ist. Ich möchte das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken statt, wie international zu beobachten, die Fliehkräfte. Es sollen also zum Beispiel keine Regionen gegeneinander ausgespielt werden. Ich bin überzeugt: Das kommt gut.

Edith Siegenthaler

PERSÖNLICH

Edith Siegenthaler, geboren 1983, wurde 2016 für die SP in den Berner Stadtrat gewählt, seit 2021 ist sie Grossrätin. Sie arbeitet bei Travail.Suisse als Leiterin Sozialpolitik, zudem setzt sie sich für bezahlbare Mieten ein. Edith Siegenthaler lebt in Bern. 

5 INDISKRETE FRAGEN AN EDITH SIEGENTHALER

Das darf in meinem Kühlschrank nicht fehlen:
«Milch für mein Müesli.»

Das letzte Mal geweint habe ich, weil ich …
« … einen bewegenden Film gesehen habe».

Mich regt derzeit auf, dass …
« … wir uns oft von Aufreger zu Aufreger hangeln, statt die grossen sozialen Probleme anzugehen».

Wenn ich einen Tag lang Königin der Schweiz wäre, würde ich …
« … die Bodenspekulation beenden».

Zum letzten Mal zu viel Geld ausgegeben habe ich für …
« … neue Schuhe».

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