Vor fünf Jahren befand sich die Schweiz im Lockdown. Der damalige «Mister Corona» Daniel Koch erklärt selbstkritisch, was er anders machen würde, worüber er ein Buch schreibt und wieso die Schweiz auf eine neue Pandemie kaum vorbereitet ist.
Daniel Koch, vor rund fünf Jahren war die Schweiz im Lockdown. Welche Erinnerungen haben Sie?
Bei uns im BAG begann die ganze Geschichte natürlich bereits weit früher, im Januar, deshalb waren die Massnahmen für uns weniger überraschend und aufwühlend als für die Bevölkerung. Das grosse Erstaunen folgte dann erst bei der Umsetzung, als wir sahen, wie sich der Lockdown auswirkt, zum Beispiel die leeren Strassen und Züge. Insgesamt sicher eine sehr spezielle Zeit.
Werden Sie auf der Strasse noch häufig erkannt?
Teilweise, ja. Manchmal ist es aber auch schwer einzuschätzen, ob mich die Leute wirklich noch kennen. Jedenfalls definitiv viel seltener als früher (lächelt).
Wäre die Schweiz auf eine neue Pandemie vorbereitet?
Nicht so, wie man vorbereitet sein müsste.
Wieso?
Weil der Fokus bei der Vorbereitung auf eine solche Krise zu stark auf der materiellen Seite liegt, auf den Abläufen und dem Technischen. Das Gesamtbild wird hingegen schnell wieder vergessen. In diesem Bereich wurde im Nachhinein verhältnismässig wenig aufgearbeitet.
Sie reden von den Aspekten, wie eine Gesellschaft in einer Ausnahmesituation funktioniert?
Ja. Was lief damals gut, was weniger? Die Untersuchung jener fragilen Balance hätte mehr Beachtung verdient.
Was war denn der einschneidendste Fehler, der während der Covid-Pandemie begangen wurde?
Ich kann mich nur auf den Abschnitt berufen, als ich beim BAG tätig war, also in der ersten Welle: In der Schweiz probierten wir im Vergleich zu unseren Nachbarländern, gemässigte Spielregeln zu definieren – es war etwa nie verboten, nach draussen zu gehen –, in den Alters- und Pflegeheimen waren wir allerdings eindeutig zu restriktiv. Man hätte den betroffenen Personen eine Wahlfreiheit lassen müssen, die ihnen jedoch gar nie zur Verfügung stand. Das hätte nicht passieren dürfen und das bereue ich. Wir waren mit unseren Empfehlungen zuhanden der Kantone zu streng.
Wie hätte es denn anders, besser laufen können?
Es wäre möglich gewesen, ein Altersheim in einen streng isolierten und in einen weniger isolierten Bereich aufzuteilen, wobei die Bewohnenden ihren Bereich frei hätten aussuchen dürfen. Solche Entscheidungen wurden indes gar nicht diskutiert.
Sie meinen vor allem jene Personen, die einsam und ohne Kontakt zu ihren Liebsten sterben mussten.
Es wurden durchaus Alternativen ausprobiert, vielleicht erinnern Sie sich noch an die Schaukästen. Eine wirkliche Wahl hatten diese Menschen aber nie.
Die These, wonach das Coronavirus einem Labor entwichen sein soll, wurde sehr schnell ins Reich der Verschwörungstheorien verbannt. Mittlerweile wird sie ernsthaft diskutiert.
Egal, um welches Thema es sich handelte: Während Corona wurden auf beiden Seiten rasch extreme Positionen eingenommen. Wahrscheinlich nicht immer bewusst, doch Druck erzeugt Gegendruck, folglich existierte kaum noch Raum für Grautöne – die Sache war entweder schwarz oder weiss. Rückblickend betrachtet ist es eigentlich irrelevant, wo das Virus entsprungen war. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass hinter der Pandemie keine Absicht dahintersteckt, etwa im Sinne einer Biowaffe. Ob das Virus aus dem Labor stammt oder natürlichen Ursprungs ist? Beide Varianten sind möglich, weil in der Vergangenheit bereits so passiert und folglich auch nichts Besonderes. Eine Streitfrage, die uns hingegen nicht weiterbringt.
Hand aufs Herz: Wie gut waren die Impfungen?
Die Impfung war ein Game Changer. Dank ihr starben deutlich weniger Menschen, namentlich vulnerable Gruppen wie ältere Personen konnten so eine Grundimmunität aufbauen. Alles Weitere sollte separat diskutiert werden, weil es sonst schnell detailliert wird.
Was antworten Sie jenen, die in den sozialen Medien nach wie vor Statements abgeben wie: «Damals: Corona-Skeptiker, heute: froh darum»?
Eine trügerische Haltung. Denn was haben diese Personen mehr erreicht als die Gegenseite? Würden wir heute in einer besseren Welt leben? Wohl kaum, wenn wir es aufs grosse Ganze beziehen: Die Toleranz anderen gegenüber hat eindeutig abgenommen.
Ich bitte Sie, folgende Aussagen kurz zu kommentieren respektive einzuordnen: «Ein wesentlicher Teil der Long-Covid-Fälle ist psychisch bedingt.»
Eine sehr gewagte Aussage. Das würde ich so nie äussern. Eine unfaire Behauptung ausserdem, da wir wissen, dass Viruserkrankungen bei bestimmten Personen langfristige Folgen nach sich ziehen können. Manche Viren sind gar typisch für solche Verläufe. So etwas zu sagen, bloss weil uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlen, und das tun sie in dem Bereich tatsächlich, halte ich schlicht für falsch.
Das Zitat stammt vom September 2022 und ist von Immunologieprofessor Beda Stadler.
Das erstaunt mich nicht (schmunzelt). Ich kenne Beda Stadler: ein hervorragender Wissenschaftler und ein äusserst engagierter Mensch …
Aber?
Ein Provokateur von Natur aus, deshalb übertreibt er es mit gewissen Dingen. Ich bin mir deswegen nicht sicher, ob er alles immer genau so meint.
Eine weitere Aussage von Beda Stadler: «Wenn jemand hustet, sind Viren oft schon gar nicht mehr ansteckend.»
Da hingegen hat er nicht ganz unrecht. Viren verbreiten sich häufig, noch bevor die Menschen Symptome zeigen. Wenn dann jemand hustet, hat er oder sie einen beträchtlichen Teil der Virenreproduktion bereits hinter sich. Ich denke, das Zitat ist in diesem Zusammenhang zu verstehen.
Sie haben sich vor kurzem mit Ihren drei Hunden und Ihrer ukrainischen Ehefrau für die «Schweizer Illustrierte» ablichten lassen. Eine Homestory mit Daniel Koch!
Eine ähnliche Geschichte wurde schon publiziert, als ich beim BAG aufhörte. Mein Privatleben ist kein Geheimnis, ich möchte es allerdings auch niemandem auf die Nase binden (lacht).
In dem Artikel sind Sie zudem in Ihrem Büro zu sehen. Sie schreiben derzeit an Ihrem zweiten Buch.
Es besteht aus zwei Themen. Im ersten Teil geht es um jenen Abschnitt der Covid-Pandemie, während der ich nicht mehr fürs BAG tätig war – die erste Phase beschrieb ich bereits im ersten Buch. Der zweite Teil behandelt mein Engagement für die Ukraine.
Wie geht es Ihrer Frau momentan?
Es ist natürlich eine enorm belastende Situation für alle, insbesondere für die, die nicht flüchten konnten und weiterhin in der Ukraine leben. Man muss das Leben neu organisieren und arrangieren. Im Buch finden sich einige Kapitel, in denen ich die Situation vor Ort aus meiner Perspektive schildere.
Wie oft reisen Sie in die Ukraine?
Ich war zwischen Frühling 2023 bis im vergangenen Herbst sieben Mal dort.
Und das nächste Mal?
Das wissen wir nicht. Vieles hängt von der Situation vor Ort ab. Meine geplanten Reisen – ich hätte dort unterrichten sollen – wurden jedenfalls ausnahmslos abgesagt.
Sie wurden vor kurzem 70. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich habe mir keinen Businessplan erstellt. Nicht mehr zu arbeiten, würde mir hingegen komisch vorkommen. Ich wäre gerne bis ins hohe Alter gesund und glücklich. So wie Emil.
Foto: Daniel Zaugg