Ramona Hess ist 31 Jahre jung und übt ein altes Handwerk aus: Sie ist gelernte Drechslerin. Dabei verschliesst sie sich zeitgemässen Hilfsmitteln keineswegs. So hat auch die Digitalisierung in ihrem Arbeitsalltag Einzug gehalten.
Das oberaargauische Riedtwil ist sowohl Wohn- als auch Arbeitsort von Ramona Hess. Bei unserem Besuch Ende Januar 2025 ist sie mit der Produktion ihrer kleinen Hocker-Serie beschäftigt. Der Hocker war ihre Diplomarbeit beim Studium zur Gestalterin HF Produktdesign. Für diese Hocker wendet sie die sogenannte Holzschweisstechnik an – mit Verbindungen ohne Klebstoff. Ramona Hess ist in ihrem Element: «Wenn man zwei Hölzer aneinander reibt, entsteht Wärme. Der natürliche Klebstoff im Holz verflüssigt sich leicht und erstarrt gleich wieder. Ich drehe Dübel in ein Loch, welches kleiner ist als der Dübel; dadurch entsteht die Wärme und verschweisst sich.» Fünf bis sechs dieser von Ramona Hess kreierten Hocker sollen zum Verkauf angeboten werden.
Arbeiten mit Restholz
Worauf Ramona Hess grössten Wert legt und was zugleich ein Alleinstellungsmerkmal der jungen Holzhandwerkerin ist: Sie verwendet für ihre Produkte fast ausschliesslich Restholz von Schreinereien und Sägereien, welches sonst verbrannt würde. Mit ihren Objekten will sie die Kundinnen und Kunden zum Denken anregen und ein Bewusstsein für die Umwelt fördern. So ist beispielsweise jeder ihrer Hocker an einem Bein mit einem Klotz versehen. «Dieser soll die Aufmerksamkeit auf die Herkunft des Holzes lenken. Beim Rohstoff Holz hat man oft das Gefühl, dass er unbegrenzt verfügbar sei», so Ramona Hess. Sie wolle zeigen, dass auch Brennholz noch einen Wert besitzt und verwertet werden kann. Teils erhält die Jungunternehmerin das Holz gratis, teils erwirbt sie es käuflich.
Meine Gegenstände
haben immer auch einen gestalterischen Aspekt.Ramona Hess
Welche Holzarten eignen sich besonders? Für die Drechslerei am geeignetsten seien harte Hölzer wie Laub- und Obsthölzer, antwortet Ramona Hess. «Für einen meiner Hocker verwendete ich Buchenholz, für einen anderen Buchen-, Eichen- und Nussbaumholz», führt sie weiter aus. Zurzeit gehören Löffel und Schalen in verschiedensten Formen zu den häufigsten Gegenständen, die sie produziert. «Ich stelle Produkte her, die man brauchen kann, aber nicht unbedingt brauchen muss!», erklärt die Drechslerin schmunzelnd. «Meine Gegenstände haben immer auch einen gestalterischen Aspekt», ergänzt sie. Stolz zeigt sie einen Löffel, dessen Stiel mit einem Schlitz versehen ist und wie eine Klammer zum Schliessen von Papiersäcken benützt werden kann. Diesen Löffel produzierte sie für ein Küchenbauunternehmen, das ihn als Kundengeschenk bestellte. «Ich habe ihn zwar nicht selbst erfunden aber nach meinen Vorstellungen gestaltet», räumt sie ein.

Zuerst Matura, dann Handwerk
Zum Beruf der «Holzhandwerkerin EFZ, Fachrichtung Drechslerei» gelangte Ramona Hess erst auf dem zweiten Bildungsweg, denn vorerst absolvierte sie die Matura, weil sie nach der obligatorischen Schulbildung noch keine konkreten Berufsvorstellungen hatte. Da sie gerne musizierte, belegte sie am Gymnasium das Schwerpunktfach Musik. Nach dem erfolgreichen Maturitätsabschluss verspürte sie aber wenig Lust auf noch mehr Schule und ein Universitätsstudium. Sie suchte nach «etwas Kunsthandwerklichem». An der alten Drechselbank ihres verstorbenen Grossvaters unternahm sie die ersten «Gehversuche» – und kam auf den Geschmack. In der seit 1917 bestehenden Drechslerei Kanziger in Koppigen erhielt sie nach einigen Schnuppertagen ihre Lehrstelle.
Im gewerblichen
Bereich glaube ich
an eine vermehrte
Spezialisierung.Ramona Hess
Es sei schwierig, eine Anstellung in einer Drechslerei zu finden, weil die wenigen Drechslereien meist nicht genügend Arbeit für Angestellte hätten, hält Ramona Hess fest. Sie bildete sich an der Schule für Gestaltung in Bern zur diplomierten Gestalterin HF Produktdesign weiter, nicht zuletzt, um sich den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Diesen Schritt wagte sie anfangs 2024. Um noch ein sicheres finanzielles Standbein zu haben, arbeitet sie vorderhand als angestellte Fachperson Schreinerei im Teilzeitpensum in der Stiftung Bächtelen in Wabern.

Beruf stirbt nicht aus
Ramona Hess ist überzeugt, dass der Beruf der Drechslerin nach wie vor Zukunft hat. «Das Interesse an diesem Handwerk nimmt sogar zu, allerdings vor allem im Freizeitbereich», stellt sie fest. Entsprechend gut besucht seien denn auch ihre Kurse, die sie im Freilichtmuseum Ballenberg vermittelt. «Im gewerblichen Bereich glaube ich an eine vermehrte Spezialisierung», prognostiziert die Fachfrau.
Die Digitalisierung geht auch am Drechslerhandwerk nicht vorbei. Während ihrer Lehre zeichnete Ramona Hess noch von Hand und in der Berufsfachschule war CAD-Zeichnen noch kein Thema. In ihrem Atelier arbeitet sie heute für die Fertigung von Schablonen mit dem 3D-Drucker. Neue Produktentwicklungen zeichnet sie mittels CAD (Computer-Aided Design). Auch kämen zunehmend Lasermaschinen für Gravuren zum Einsatz, weiss Ramona Hess zu berichten. «Ich finde es spannend, traditionelle Arbeitsschritte mit modernen zu kombinieren», sagt sie begeistert.
Zurzeit stellt Ramona Hess im Vergleich zu Auftragsarbeiten mehrheitlich Eigenkreationen her. «Daraus können aber durchaus Aufträge entstehen», ergänzt sie. Ein grosses Hohlgefäss zu produzieren, beispielsweise eine auszuhöhlende Kugel, bezeichnet sie als anzustrebende Vision. «Das ist technisch anspruchsvoll und benötigt spezielles Werkzeug», resümiert Ramona Hess.

Fotos: Daniel Zaugg