Tamara L. Thompson verwandelt durch ihre Kreativität und Interpretation das, was andere wegwerfen, in Kunstwerke. So werden in ihrem Atelier aus alten Spielzeugen neue Skulpturen mit Botschaft und Herz.
Der Werkstoff wird ihr so schnell nicht ausgehen. Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man das kleine Atelier von Tamara L. Thompson gleich neben der berühmten Mühle Hunziken betritt. Puppenköpfe, Minions, Drachen, Playmobil-Figuren, Plastik-Früchte, Würfel. Jede der unzähligen Boxen hier bordet über von altem Spielzeug. Säuberlich hat die Künstlerin sie thematisch und farblich geordnet. «Die Ordnung im Chaos, ich habe mein System», lacht sie. «Ich bin schon eine Sammlerin.» In Brockenhäusern und auf Flohmärkten findet sie viel, Bekannte bringen alte Schätze vorbei. Denn jedes Kind «produziert» in seinem Leben einen kleinen Plastikspielzeugberg.
Kunststoff, der einerseits langlebig und schön farbig ist und zugleich die Umwelt stark belastet, fasziniert die Künstlerin schon lange. Sie deutet auf ihren Arm: «Man hat herausgefunden, dass wir Menschen inzwischen sogar Mikroplastik in unserem Blutkreislauf haben. Es gibt auf dieser Erde nichts mehr ohne Plastik.» Wegwerfen ist keine Lösung, rezyklieren lässt sich bei Weitem nicht alles oder es ist zu aufwendig. «Leider steckt die Recyclingindustrie noch in den Kinderschuhen», weiss Thompson, die in ihrer Kunst auch unseren fragwürdigen Umgang mit der Ressource Plastik kritisiert.
In stundenlanger Detailarbeit klebt die Künstlerin die Plastikschätze auf ausgediente Schaufensterpuppen und Köpfe. «Ich komponiere aus Bestehendem etwas Neues. Ich zerstöre dabei die Spielzeuge nicht, denn jedes Teil ist mal von einem Kind geliebt worden. Das hat eine besondere Magie.» Eine Mickey Mouse dabei wird zur Nase, eine Plastikbanane zum Lachmund und Entchen zu Augenbrauen. Der Ausdruck der Werke ist extrem präsent, die Farben sind ein Eyecatcher. Thompsons Kunst will auffallen.
Atelier-Ausstellung
Im Moment bereitet sie ihre Atelier-Ausstellung «Good Vibrations» (24. – 25. Mai) vor, die positive Emotionen in den Vordergrund rücken wird. Die Künstlerin nutzt Plastikbuchstaben, um den Betrachtenden einen Grundgedanken mitzugeben: Believe, Love, Touch me with your Heart, Wild Things. Trotz der Weltlage will sie, dass wir den Glauben nicht verlieren. «Gerade geht es mir gut, das will ich in die Welt tragen.»
Gelegentlich sind Thompsons Werke auch im öffentlichen Raum zu sehen, wie zum Beispiel 2024 im Skulpturenpark in Steinmaur ZH und in Kunstgalerien. «Die ABB hat vor kurzem eine meiner Figuren gekauft. Sie steht nun im Eingangsbereich», so die Künstlerin. 2026 wird sie einen Skulpturenpark mit 15 Positionen bei Münsingen ins Leben rufen – dank der Dr. Werner Sidler Stiftung und dem Verein knush wurde das Gebiet zur Verfügung gestellt. In ihren Werken verarbeitet die Künstlerin persönliche Erfahrungen und ihre Sicht auf die aktuelle Gesellschaft. Sie erinnert an den Überfluss an Wegwerfartikeln, in dem wir alle leben. «Irgendwann sind wir alle Plastik», hat Thompson einmal gesagt. Sie verarbeitet in ihrer Kunst Themen wie Artensterben, Inklusion oder Seenot. Aber die Bernerin ist keine Pessimistin oder plakative Ökomahnerin, arbeitet viel subtiler, lässt die Betrachtenden ihre eigenen Gedanken finden.
Als Tänzerin gestartet
Thompson, die ihre künstlerische Karriere als professionelle Tänzerin
startete und einige Jahre im Ausland lebte, kam vor rund 30 Jahren in ihre Heimat zurück und hat sich zur bildenden Künstlerin weiterentwickelt. «Ich drücke mich jetzt mit den Figuren aus, darin steckt immer noch viel fliessende Bewegung», sagt sie zu dieser Verbindung. Nach Anfängen in Beton kam sie schnell zum Werkstoff Plastik. «Es ist für mich nur logisch, mit diesem Material zu arbeiten. Wir leben im Plastikzeitalter», findet sie. «Ausserdem stehe ich total auf Farben. Ich bin ein Naturfreak und möchte dazu anregen, nachzudenken: Wie gehen wir mit unserer Umwelt um?»
Für eine mittelgrosse Skulptur braucht sie etwa einen Monat. Im Atelier arbeitet sie immer parallel an mehreren Figuren. Thompson hat ihre fixe Tagesstruktur. «Ohne Disziplin geht auch Kunst nicht», sagt sie. Inspiration findet sie in ihren eigenen Erfahrungen und Begegnungen. Sie fängt meist mit den Augen einer Figur an, danach spürt sie in welche Richtung sie gehen soll. In ihrem riesigen Fundus sucht die Künstlerin die passenden Teile, muss mit dem auskommen, was da ist. Zu jeder ihrer Arbeiten hat sie eine Beziehung: «Die Werke sind ein bisschen meine Familienmitglieder.» Die eigenen Gedanken in Umsetzung zu bringen, hat für die Künstlerin auch etwas Spirituelles.
Und welche Reaktionen rufen ihre knalligen Plastikwerke beim Gegenüber hervor? «Unterschiedliche. Manche verstehen den Ansatz sofort, andere fürchten sich vor meinen Skulpturen. Es kommt darauf an, welche Emotionen man selbst in sich hat.» Thompsons Werke laden zum längeren Betrachten ein. Das ein oder andere Figürchen erkennt man wieder, entdeckt Muster und kreative Neuverwendungen. Thompson hat festgestellt, dass selbst die ältere Generation, die als Kind noch nicht so viele Spielzeuge aus Plastik hatte, ihre Kunst gerne sieht. Am meisten freut Thompson sich aber über die Reaktionen der Kleinsten: «Kinder verstehen meine Werke sofort und haben unglaubliche Freude daran.»



Foto: Daniel Zaugg