Die zwei Gruppen, die sich einmal wöchentlich in der Stadtbibliothek Biel zur Lektüre treffen, haben es offensichtlich gemütlich. Da wird gelacht, diskutiert und natürlich gelesen – laut vorgelesen. Letzteres geht nicht bei allen Lesenden gleich flüssig, denn es handelt sich um Mitglieder des LEA Leseklubs Biel.
LEA ist eine Abkürzung und steht für «Lesen Einmal Anders». Es sind Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, die sich hier seit zwei Jahren im ersten inklusiven Leseklub der Schweiz zusammenfinden und gegenseitig ergänzen. Auch Personen, die nicht lesen können, sind dabei: Sie sprechen die Wörter, die von einer Mitleserin vorgelesen werden, einfach nach.
In den USA gibt es diese inklusiven Leseklubs («Next Chapter Book Clubs») schon lange, in Deutschland gibt es 50 davon, selbst im afrikanischen Ruanda findet man sie – aber in der Schweiz betraten die Initiantinnen Neuland, obwohl das Bedürfnis offensichtlich vorhanden war. «Dank Mund-zu-Mund-Propaganda füllten sich unsere Leserunden, und bald werden wir wohl eine Warteliste führen müssen», sagt Brigitte Bättig, Vizedirektorin der Stadtbibliothek Biel.
Es sei ein wichtiger Teil des Konzepts, dass diese Treffen im öffentlichen Raum stattfinden, ergänzt Mit-Initiantin Judith Mayencourt. «Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung sind genug isoliert. Deshalb sitzen wir hier mitten unter Leuten und zwischen Büchern.» Gelesen werden Werke in sogenannt «Leichter Sprache», und nach jedem Abschnitt werden schwierige Wörter erklärt. Im Zentrum stehen Freude und Lust an Geschichten und Büchern sowie die kulturelle Teilhabe. Die Idee aus Biel hat eingeschlagen. Inzwischen gibt es 4 offizielle LEA-Leseklubs (Biel, Bern, Thun, Rüti ZH), weitere sind im Entstehen.
Für sein Engagement punkto Inklusion ist das Projekt LEA kürzlich mit dem «Prix Printemps» ausgezeichnet worden. Das Preisgeld von 10 000 Franken ermöglicht den beiden Bieler Gruppen eine Reise ans LEA-Festival nach Köln. Es ist wohl das erste Mal, dass ausgerechnet Leute mit einer Leseschwäche an ein Lesefestival reisen. Ein Erfolgsbeweis für die Idee LEA!
Foto: Christian Lüscher