CORELINA - STIFTUNG FÜR DAS KINDERHERZ

«Das Herz ist Ausgangspunkt für alles»

Die Corelina-Stiftung setzt sich weltweit für Kinderherz-Operationen ein: Dank einer solchen kann dieses Mädchen aus Ulaanbaatar nun in eine gesundheitlich unbelastete Zukunft blicken.

Ein Herzfehler bei einem Neugeborenen reisst Familien aus dem Alltag und stürzt sie in eine schwierige Zeit zwischen Hoffen und Bangen. Die Berner Stiftung Corelina hilft betroffenen Kindern aus dem In- und Ausland mit lebensrettenden Behandlungen. An ihrer Spitze steht Herzchirurg Thierry Carrel, der gerade von einer weiteren bewegenden Reise in die Mongolei zurückgekehrt ist.

Thierry Carrel, wie begann eigentlich Ihr weltweiter Einsatz fürs Kinderherz?
Das war 1995. Ich war für einen Austausch in Hannover, wo ich das grosse Privileg hatte, mit Professor Hans Borst zusammenzuarbeiten. Er war einer der Pioniere der modernen Herzchirurgie in Europa. Kurz nach seiner Pensionierung reiste er von Kiew bis Wladiwostok und besuchte zahlreiche Kliniken, um zu sehen, wo man gezielt helfen könnte. Nach seiner Rückkehr sagte er zu mir: «Carrel, Sie müssen nach Perm!» Ich verstand zuerst «Bern», aber gemeint war tatsächlich Perm, eine Stadt gut 1150 Kilometer nordöstlich von Moskau, geografisch und infrastrukturell eher isoliert.

Und dann gingen Sie dorthin?
Tatsächlich befand ich mich nur wenige Wochen später auf dem Weg dorthin. Was ich zu sehen bekam, waren medizinische Zustände und Ressourcen, wie wir sie hier in Mitteleuropa schon lange nicht mehr kannten. 

Wie muss man sich das vorstellen?
Speziell für uns war, dass man dort das gesamte Spektrum abdecken musste. Von der ersten Diagnostik über die Operation bis hin zur Nachsorge. In unseren westlichen Strukturen haben wir für jeden dieser Schritte spezialisierte Fachpersonen. Dort mangelte es zudem an vielem: Blutkonserven, Nahtmaterial, Verbrauchsartikel – alles war knapp. Jeder noch so kleine Fadenrest wurde aufgehoben und wiederverwendet. Wir lernten dort, mit einfachsten Mitteln zu arbeiten und dennoch präzise zu bleiben.

Warum ist gerade das Kinderherz so wichtig?
Das kindliche Herz ist im wahrsten Sinne des Wortes der Ausgangspunkt für alles. Wenn das Herz nicht richtig arbeitet, hat das sehr rasch Auswirkungen auf den ganzen Organismus, auf die Lunge, die Nieren, das Gehirn. Ein kleines Loch im Herzen kann beispielsweise zu einem sogenannten «Links-Rechts-Shunt» führen, der den Blutdruck in der Lunge gefährlich ansteigen lässt. Wird das nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kann das lebensbedrohlich werden.

Je früher man operiert, desto besser?
Absolut. Idealerweise im Säuglings- oder Kleinkindalter. Bei vielen Missbildungen gilt: Je früher ein solcher Eingriff erfolgt, desto unproblematischer verläuft er in der Regel, und desto besser sind die Langzeitperspektiven für das Kind. Viele dieser Kinder können nach einer erfolgreichen Operation ein völlig normales Leben führen. Und genau das ist unser Ziel: nicht nur zu retten, sondern Zukunft zu ermöglichen.

Wie vielen Kindern konnte so geholfen werden?
Wir konnten in der Regel bei jeder Mission dort jeden Tag rund zwei Kinder aber auch junge Erwachsene operieren – das bedeutet etwa zwanzig Eingriffe in zwei Wochen. Es war nicht nur eine medizinische Hilfeleistung, sondern auch ein enorm lehrreicher Austausch für alle Beteiligten. Wir sehen in dieser kurzen Zeit so viele unterschiedliche Herzfehler und operative Situationen, wie man sie hier in einem Vierteljahr kaum erlebt. Für junge Kolleginnen und Kollegen ist das eine Schule fürs Leben.

Wie hat sich die Situation inzwischen entwickelt?
Als wir begannen, wurden dort vielleicht 250 Operationen pro Jahr durchgeführt. Zehn Jahre später waren es etwa 2000. Diese Entwicklung zu sehen und ein Stück weit begleiten zu dürfen, war eine grosse Freude. 

Gibt es da auf politischer Ebene nie Probleme?
Wenn es um die Zusammenarbeit mit Ländern ausserhalb Europas geht, muss man im Wording immer sehr achtsam sein. Wir sprechen deshalb stets von einem wissenschaftlichen Austausch, was es ja schliesslich auch ist. Früher gab es für solche Reisen fast  eine Warteliste von jungen Chirurgen, Anästhesisten und Intensiv-Pflegenden. Heute reise ich leider meist allein.

Warum das?
Das hat sich über die Jahre so entwickelt. Es herrschen heute andere Verhältnisse als früher. Die Motivation für solche Aufgaben ist geringer als auch schon. Zudem fehlt oft schlichtweg die zeitliche und organisatorische Luft dafür und leider auch die Unterstützung der Spitalleitungen. Und dennoch: Der Bedarf ist nach wie vor da, und ich versuche, dort zu unterstützen, wo es nötig ist. 

Ihnen wurde es nie zu viel?
Nein. Ich habe Medizin studiert, weil mich der menschliche Körper fasziniert und weil ich etwas Sinnvolles tun wollte. Was mir hingegen zuletzt zu viel wurde, war der administrative Aufwand hierzulande – die zunehmende Bürokratisierung, die endlosen Protokolle, die wirtschaftlichen Vorgaben, die immer mehr Zeit raubten und immer weniger Zeit für die Kernaufgabe, nämlich die Betreuung unserer Patienten zuliess. Eine tragische Entwicklung!

Und das ist bei Auslandseinsätzen anders?
Definitiv. Dort kann ich mich ganz auf das konzentrieren, was ich am besten kann und am liebsten mache: operieren und für die Patientinnen und Patienten da sein. Das war ein zentraler Grund, warum ich mich dazu entschlossen habe, das Insel-Spital zu verlassen und mich auf die Chirurgie zu konzentrieren. 

Solche Einsätze können aber sicher auch belastend sein?
Ja, alles ist belastend: die Zeitverschiebung, die fehlende Infrastruktur, die unterschiedliche Kultur, das knappe Material. Ein Kind zu verlieren ist und bleibt das Schwerste an unserer Arbeit. Man kann sich niemals daran gewöhnen. Auch bei uns in der Schweiz war das in den 1970er-Jahren noch Realität. Viele Kinder mit Herzfehlern hatten damals kaum Überlebenschancen. 


Aber heute kann man sie retten…
Genau, hierzulande kann man fast jedes Kind retten, im Ausland fehlt dafür häufig die richtige Infrastruktur. Diese Realität ist schwer zu ertragen. Doch mir hilft der Gedanke, dass der Einsatz langfristig etwas bewirkt. Auch gibt es kulturelle Unterschiede im Umgang mit dem Tod, die Erwartungen an die Medizin sind oft andere als bei uns. Allerdings wächst mit der Vernetzung auch das Bewusstsein für die Möglichkeiten und die Hoffnung. 

Und wie kamen Sie in die Mongolei?
In die Mongolei kam ich eher überraschend, im Herbst 2024. Zuvor war ich regelmässig mit Paul Vogt, der medizinische Missionen in Asien leitet, in Usbekistan im Einsatz. Plötzlich erhielt ich eine SMS aus der Mongolei mit der Bitte um Hilfe – zunächst hielt ich sie für Spam. Doch die Klinik hatte tatsächlich eine aktive Website.

Wie ging es weiter?
Am nächsten Tag gab es einen ersten Call mit acht Teilnehmenden. 2024 feierte die Schweiz ja 60 Jahre diplomatische Beziehungen mit der Mongolei, mit Projekten in vielen Bereichen, nur wenig im Gesundheitswesen. Bei einem Besuch erwähnte Nationalrat Laurent Wehrli meinen Namen. So kam der Kontakt zustande. Eine Woche später flog ich nach Ulaanbaatar.

Wie haben Sie die Situation in der Mongolei erlebt?
Ich bat darum, das bestehende Programm bei meinem ersten Besuch nicht zu verändern, denn ich wollte die Realität sehen, nicht eine inszenierte Version. Es war beeindruckend: eine  hochmotivierte Ärzteschaft, einige in Südkorea ausgebildet, flache Hierarchien und eine grosse Offenheit. Die Strukturen sind schlank, aber gut organisiert. Dennoch fehlt es an Material und Geräten und natürlich auch an Know-how für den Umgang mit komplexen Situationen. Wir haben Listen erstellt und suchen nun per Spenden gezielt nach dem Dringendsten. Ein wichtiger Teil ist die gezielte Ausbildung von medizinischem Personal. 

Was ist sonst noch speziell dort?
Das Klima. Es ist extrem rau und im Winter bitterkalt, teilweise bis zu – 35 °C. Die Ernährung ist enorm fleischlastig, weil es oft an Gemüse fehlt. Auch ist die Luftqualität in Ulaanbaatar schlecht, da alles verbrannt wird, was Wärme erzeugt. Eine ganz andere Welt als bei uns. Für mich ist es deshalb wichtig, auch die Lebensrealität vor Ort zu verstehen. Nur so kann man Krankheiten und ihre Ursachen wirklich einordnen und nachhaltig helfen.

Verdienen Sie denn bei diesen Einsätzen auch etwas?
Ich arbeite in diesen Projekten ehrenamtlich. Aber was ich dafür zurückbekomme, ist durch kein Honorar der Welt aufzuwiegen. Da stehen nach einer gelungenen Operation manchmal ganze Familien vor der Tür, mit Tränen in den Augen und einem Leuchten im Gesicht. Diesmal hat mir eine Familie sogar ein Pferd geschenkt. Ich konnte es leider nicht mitnehmen! Aber ich werde es besuchen. Solche Gesten bleiben für immer im Herzen.

Und wann gehen Sie in den verdienten Ruhestand?
Ich verspüre noch nicht den Wunsch, mich zur Ruhe zu setzen und in Erinnerungen zu schwelgen. Ich möchte weiterhin etwas Sinnvolles tun und reise dieses Jahr sicher fünf bis sechs Mal in die Mongolei. Neben meinen regelmässigen Aktivitäten als Chirurg engagiere ich mich auch politisch, als Gemeinderat und Sozialvorsteher in Vitznau. Das eröffnet mir eine neue Dimension und ein direkteres Verständnis für die Herausforderungen der Menschen im Alltag. Es ist vielleicht eine andere Art zu helfen, aber die Grundidee bleibt dieselbe: Da sein, wo man gebraucht wird und etwas Sinnvolles tun!

Foto: zvg

PERSÖNLICH

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Thierry Carrel war über 25 Jahre am Inselspital Bern tätig. Heute arbeitet er als selbstständiger Herzchirurg, operiert in Basel und Zürich, hält Vorträge und unterstützt Projekte in Forschung und Bildung. Neben seinem medizinischen Engagement ist er auch politisch aktiv – als Gemeinderat und Sozialvorsteher in Vitznau, wo er mit seiner Frau, TV-Moderatorin Sabine Dahinden, lebt.

INFO

Corelina – Stiftung für das Kinderherz

Fast jedes hundertste Neugeborene hat einen Herzfehler. Die moderne Medizin kann inzwischen viele dieser Leben retten. Dennoch sind Mittel und Aufmerksamkeit im Bereich Kinderherzmedizin oft begrenzt. Und genau hier setzt Corelina an. Die 2014 gegründete Stiftung unterstützt herzkranke Kinder aus dem In- und Ausland sowie deren Familien. Sie fördert Forschung, Behandlungen und weltweite Hilfsprojekte.

corelina.ch

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