Das Leistgebiet der 157-jährigen Kesslergass-Gesellschaft KGG ist gut durchmischt: Kunstgewerbe, Handwerk, gemütliche Beizen, zwei Sternerestaurants und ruhige Wohnlagen wechseln sich ab. KGG-Präsident Tobias Eastus zeigt sich rundum zufrieden mit «seinem» Leist.
Treffpunkt mit dem Leistpräsidenten Tobias Eastus ist das Einstein-Café an der Münstergasse am letzten April-Tag bei Kaiserwetter und sommerlicher Temperatur. Die Gäste drängts nach draussen an die Tische unter den Lauben. Auch Viola Amherd, seit einem Monat alt Bundesrätin, geniesst gerade ihren morgendlichen Kaffee. Es gehe ihr ausgezeichnet, beantwortet sie lachend unsere entsprechende Frage. Nun könne sie sich vermehrt solche Momente der Entspannung leisten. Es sei ihr zu gönnen! Tobias Eastus attestiert dem Leistgebiet, das sich vom Casinoplatz bis zur Münsterplattform erstreckt, eine privilegierte Wohnqualität. Obschon es sich mit seinen verschiedenartigen Märkten um ein lebendiges Quartier handle, lasse es sich in den Gassen ruhig wohnen, das Gebiet sei keine Partymeile. Der Präsident preist auch gleich die zahlreichen Sehenswürdigkeiten: das Casino, die Burgerbibliothek, das Einsteinhaus, das Münster, die Münsterplattform.
Wein aus dem Mosesbrunnen
Neben den jährlichen Anlässen, welche die Stadt Bern oder die Vereinigten Altstadtleiste (VAL) durchführen, wartet die Kesslergass-Gesellschaft mit eigenen Events für ihre Mitglieder auf, so beispielsweise mit «Le Neuveville nouveau». Im März dieses Jahres sprudelte zum achten Mal seit 1848 Wein des Rebguts der Stadt Bern aus dem Mosesbrunnen auf dem Münsterplatz. Dabei standen auch die Weine der Gewinner des Wettbewerbs «Berner Wein des Jahres 2024» zur Degustation bereit. Weiter erwähnt Leistpräsident Eastus die jährliche KGG-Tavolata auf der Münsterplattform, kurz «Pläfe» genannt, wo unter Kastanienbäumen getafelt und geplaudert wird. Dieser Anlass sei auch für die Vereinskasse nicht uninteressant, verrät er augenzwinkernd. Auch Führungen im KGG-Gebiet gehören zum festen Bestandteil der Gesellschaft. Einige Beispiele des letzten Jahres: Tour de Pain, wo Brotsommelier Patrik Bohnenblust an sieben Altstadtorten das zum Ort passende Brot samt richtigen Zutaten und Getränken servierte. Oder eine Führung durch den Stiftsgarten unterhalb der Münsterplattform – ein Paradies der Biodiversität. Auch in diesem Sommer können sich die KGG-Mitglieder auf dem «Pläfe» im Pétanque-Spiel üben. Die diesjährige Altstadtführung mit Konrad Zehnder, dem Leiter der Forschungsstelle Technologie und Konservierung des Instituts für Denkmalpflege, steht unter dem vielversprechenden Titel «Steine Berns», wie der Brunnezytig entnommen werden kann. Die Mitglieder der Kesslergass-Gesellschaft erhalten jeweils rechtzeitig eine Einladung zu den Anlässen.
Historischer Name
«Von 1514 an befand sich an der Kesslergasse der ‹Ankenmarkt› und spätestens seit 1778 dient die Gasse den auswärtigen Metzgern als Fleischmarkt. Bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts wurden auch Eier und Käse sowie an der Sonnseite Garn und Leinwand verkauft.» So stehts im Historisch-Topographischen Lexikon der Stadt Bern. Obwohl dieser Teil des Berner Wochenmarktes nach wie vor «Fleischmärit» heisst, sind heute bloss noch etwa ein halbes Dutzend Fleischverkaufsstände vertreten.
Am 1. November 1967 wurde die Kesslergasse in Münstergasse umbenannt. Die Kesslergass-Gesellschaft hält jedoch am ursprünglichen Namen fest. Warum? Dazu Leistpräsident Tobias Eastus: «Die Kesslergass-Gesellschaft trug während kurzer Zeit den Namen ‹Münstergass-Herrengass-Leist›. An der Mitgliederversammlung 1993 anlässlich des 125-jährigen Bestehens wurde die vormalige Bezeichnung erneut angenommen, nicht aber der Vorstoss einiger Vorstandsmitglieder, den Namen der Gasse selbst wieder in ‹Kesslergasse› zu ändern.»
Offene Aufnahmebedingungen
Etwa 30 Prozent der KGG-Mitglieder wohnen oder arbeiten nicht im Leistgebiet, wie Tobias Eastus sagt. Dies ist denn gemäss Statuten auch keine Bedingung, um Mitglied zu werden. «Wir haben bewusst offene Beitrittsbedingungen», erläutert er. «Es kommt immer wieder vor, dass ein Mitglied wegzieht, aber mit der Altstadt und der Kesslergass-Gesellschaft sehr verbunden bleibt oder sogar noch zur Wertschöpfung beiträgt.» Die KGG bekundet nach Aussagen des Präsidenten kaum Mühe, neue Mitglieder zu finden. «Wir sind auf einem flächenmässig kleinen Gebiet tätig, man kennt sich persönlich.» So basiere die Mitgliederwerbung grösstenteils auf persönlichen Kontakten. «Ich kenne fast sämtliche Firmenmitglieder persönlich», ergänzt Gastronom Eastus nicht ohne Stolz.
Was war denn die Motivation von Tobias Eastus, der KGG beizutreten? «Durch meine Tätigkeit im Einstein-Café kannte ich schon viele Gewerbetreibende und Anwohnende im Gebiet der Vereinigten Altstadtleiste. Mein Betrieb profitiert vor allem von der Nachbarschaft, deshalb bin ich der Meinung, der Gesellschaft auch etwas zurückgeben zu wollen. Wenn ich zur positiven Entwicklung etwas beitragen kann, erfüllt mich das mit Genugtuung.» Im Vorstand darf der 44-Jährige auf eine langjährige, erfahrene und erprobte Crew zählen, was er zu schätzen weiss. Allerdings seien altersmässige Rücktritte nicht auszuschliessen. Die Rekrutierung jüngerer Vorstandsmitglieder, welche sich mit ebenso grossem Einsatz engagierten, werde sich wohl nicht so einfach gestalten, blickt er in die Zukunft.
Geschäftsauslagen in den Lauben
Auf unsere Frage, welche Projekte oder Herausforderungen anstünden, antwortet Tobias Eastus zu unserer Überraschung, dass weder Bau- noch Verkehrsprobleme oder andere Grossprojekte die KGG umtreiben würden. «Ja, es ist zurzeit ruhig im Leistgebiet.» Oder doch: Seit Anfang dieses Jahres ist das sogenannte «Vollzugskonzept Geschäftsauslagen Stadt Bern» in Kraft. Dieses bezweckt, in den Lauben genügend Platz für die Fussgänger:innen zu gewährleisten. Für Auslagen wie Dekorationsmaterial, Werbetafeln und Warenständer benötigen Gewerbetreibende eine Bewilligung, wobei Parterregeschäfte mit Schaufenstern keinen Anspruch auf eine Bewilligung haben. «Das gibt zurzeit schon zu reden, aber es betrifft nicht bloss das KGG-Gebiet, sondern die ganze obere und untere Altstadt.» Solche übergeordneten Probleme würden jeweils im VAL (Vereinigte Altstadtleiste) behandelt.
Foto: Daniel Zaugg