Für viele Bernerinnen und Berner ist Bruno Bieri kein Unbekannter und sie bleiben stehen und lauschen, wenn er unter den Lauben sitzt und seinem Handpan verzaubernde Töne entlockt. Selbst asiatische Touristengruppen halten inne und vergessen für kurze Zeit den Stress ihres zweiwöchigen Europa-Trips.
Wenn in der unteren Altstadt vom Zytglogge an abwärts, irgendwo unter einem Laubenbogen, ein sanfter und beruhigender Klang ertönt, dann entstammt er dem Handpan des Berners Bruno Bieri. «Unter den Lauben kommt die Welt vorbei», sagt der Künstler, der sich auf der Gasse als Troubadour, als Gaukler sieht, der früher auf den Märkten die neuesten Nachrichten verbreitete. So flicht er stets Tagesaktualitäten in seine Darbietungen ein – sozusagen als Beobachter der Welt in der Troubadourstadt Bern. Bieri betrachtet die Lauben als Begegnungsraum und freut sich über die spontanen Begegnungen, die dort stattfinden. «Wenn ich mich unter die Lauben setze, lade ich die Menschen ein, in die Stille zu kommen, oft auch gespickt mit Humor; man kann bei mir auch lachen und sich entspannen», erzählt er. Sein Handpan fordert Ruhe und Einkehr und am Schluss bedankt er sich bei den Zuhörenden mit den Worten: «Danke, dass Sie Ihre Lebenszeit einen Moment unterbrochen haben.» Der Applaus ist ihm dabei sicher.
Das seltsame Instrument von Bruno Bieri, das zwei gegeneinander liegenden Wokpfannen ähnelt, hat Berner Wurzeln, denn es wurde im Jahr 2000 vom Künstlerduo Felix Rohner und Sabina Schär als «Hang» (= «von Hand») erfunden und seither weltweit mehrfach kopiert. Bruno Bieri spielt meist auf einem spanischen Duplikat. Die Hangschale wird nach wie vor von Panart Hangbau AG in Bern produziert.
Soziales Experiment
Bruno Bieri wählt oft absichtlich die untere Altstadt für seine Auftritte, weil er dort nicht durch quietschende Trams gestört wird. Die Berner Lauben bezeichnet er als «resonanzfreudig» und er schätzt die kirchenraumartige Akustik, ganz besonders im Hof der Gesellschaft zum Distelzwang an der Gerechtigkeitsgasse. «Das spüren die Leute und unterhalten sich nur flüsternd, eben wie in der Kirche.» Bei der asiatischen Touristengruppe versucht er nicht, diese zu übertönen, sondern nimmt die Lautstärke mit einem leisen Zwischenspiel zurück, das sich anhört wie ein Schwall chinesischer Wortfetzen – die Sympathie hat er auf seiner Seite. Bruno Bieri sieht bei seinen Auftritten auch ein soziales Experiment: «Ich versuche den Augen der Menschen zu entnehmen, was sie denken. Ich bin für sie vielleicht ein ‹Plagöri›, der zeigen muss, was er kann! Ich lasse diese Interpretationen einfach unerwidert stehen…».
Sonntags trifft man Bruno Bieri auch hie und da unter der «Edellaube Berns», wie er den Laubengang auf der Bundesterrasse beim Besuchereingang des Bundeshauses scherzhaft nennt. «Dort politisiere ich», verrät er. Aber nicht nur die Berner Bevölkerung kommt in den Genuss von Bruno Bieris Handpan- oder Alphornklängen. Auch in Basel, Zürich oder Winterthur hat er seine Standplätze. In einigen Städten benötigt er eine kostenpflichtige Bewilligung. «In Winterthur muss ich mich bei der Gewerbepolizei anmelden, dann entscheidet das Los unter den angemeldeten Künstlern», erklärt er. In Bern habe er (fast) freie Bahn, bloss Auftritte vor elf Uhr vormittags seien nicht erwünscht.
Braucht es Mut, sich den Passanten in den Lauben unaufgefordert auszusetzen? Bruno Bieri überlegt. «In meinen Anfängen brauchte es zweifellos Mut», gesteht er. Er müsse danach aufgelegt sein, um in den Lauben spielen zu können, wenn ihn physisch oder psychisch etwas plage, seien die Voraussetzungen nicht gegeben. «Aber als grundsätzlich positiv denkender und fühlender Mensch gibt es die fast nie.»
Keine eigene Homepage
Musiker, Erzähler, Künstler, Lehrer? Welche Berufsbezeichnung trifft am besten Bruno Bieris Vielseitigkeit? Er gibt die Antwort gleich selbst: «Auf Anmeldeformularen in Hotels schreibe ich beim Beruf ‹Musikant› oder auf Französisch ‹musicien›.» Musiker töne nach Konservatorium und sei zu hoch gegriffen, meint er bescheiden. «Ich ‹betone› im wahrsten Sinne des Wortes das Leben, die Menschen; ich bin ein ‹Vertoner des Lebens›!» Der ausgebildete Lehrer spielt als «Musikant» Handpan, Alphorn, Gitarre und Langnauerörgeli. Diese Instrumente bespielt er abwechslungsweise in seinen Programmen, zum Beispiel in der Berner «Cappella».
Eine Website von Bruno Bieri sucht man vergebens. Eigentlich erstaunlich für einen Künstler, der in TV- und Radio-Sendungen wie «Aeschbacher» und «Persönlich» aufgetreten ist? Auch hier hat er eine Erklärung parat: «Das ist Absicht. Ich lebe heute zu 80 Prozent von der Musik und meinen Auftritten und muss mich nicht anpreisen. Man findet viele Daten von mir, muss sie aber suchen. Weil ich keine Homepage habe, kommen nur Leute zu mir, die mich suchen. Das sind dann meist gute Anfragen.» Anders als andere: Bruno Bieris «Homepage» sind die Lauben und Plätze, authentischer gehts kaum.
Auftritt vor dem Dalai Lama
2016 wurde Bruno Bieri vom damaligen Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät angefragt, vor dem Dalai Lama, dem geistigen Oberhaupt Tibets, anlässlich seines Besuches in Bern zu spielen. «Ich hatte zuerst ein etwas zwiespältiges Gefühl», erinnert sich Bruno Bieri. «Ich schwankte zwischen innerem Jubel und Respekt. Der Dalai Lama ist für mich kein Heiliger, aber ich schätze seine Grundidee, dass das Göttliche in uns ist und das inspiriert mich sehr.» Bieri wählte für den kurzen Auftritt im Kursaal Bern den Humor, weil er wusste, dass der Dalai Lama gerne und oft laut lacht. Also sang er zu den Klängen des Handpans über Tsampa, das tibetische Grundnahrungsmittel. Damit traf er offensichtlich den Geschmack des Dalai Lama: Dieser legte danach seine Stirn zum Gruss auf Bieris Hand. «Es war sehr berührend, damit stellte er eine Verbindung her, die Musik war die Brücke dazu», so Bruno Bieri. «Es war eine grosse Ehre, die bei mir heute noch nachwirkt.»
Welches sind die nächsten Projekte von Bruno Bieri? Er hat sich zurzeit eine Auszeit genommen, nächste Auftritte sind gegen Ende 2025 wieder geplant. Und: «Ich begebe mich langsam in die Teilpensionierung, ganz nach dem Motto: Leben, erleben und leben lassen!» Es bleibt zu hoffen, dass wir Bruno Bieri noch oft erleben dürfen, denn er ist eine Bereicherung.
Foto: Daniel Zaugg